Änderung des Gesetzes – Dürfen Grenzgänger auch dort arbeiten, wo sie möchten?
Im vergangenen Sommer verabschiedete das niederländische Parlament (die Volksvertretung, vergleichbar mit dem deutschen Bundestag) mit großer Mehrheit den Gesetzesentwurf „Werken waar je wilt“ (übersetzt: „Arbeiten wo man möchte“). Der Gesetzesentwurf zielt darauf ab, das niederländische Gesetz „Wet flexibel werken“ (Wfw) zu ändern und den Arbeitnehmern mehr Mitspracherecht bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes zu geben. Aber wie sieht es mit Grenzgängern aus, die in den Niederlanden arbeiten, aber zum Beispiel in Deutschland oder Belgien wohnen und dort im Homeoffice arbeiten möchten? Und umgekehrt, wenn es sich um einen Niederländer mit einem Arbeitgeber im Ausland handelt? Was würde sich mit dem neuen Gesetzesentwurf im Vergleich zu der aktuellen Lage ändern und worauf müssen Arbeitgeber dabei besonders achten?
Von Lotte Braakhuis (De Kempenaer Advocaten) und Ricardo te Kaat (Stolwijk Kelderman)
Während der Corona-Krise haben zahlreiche Arbeitnehmer damit angefangen von Zuhause aus zu arbeiten. Das Arbeiten im Homeoffice ist seitdem immer noch beliebt. Viele Arbeitnehmer möchten gerne zumindest einen Teil ihrer Arbeitswoche im Homeoffice arbeiten. Für diese Arbeitnehmer kommt der Gesetzesentwurf „Wet werken waar je wilt“ genau zum richtigen Zeitpunkt. Nach geltendem niederländischen Recht kann ein Arbeitgeber einen Antrag auf das Arbeiten im Homeoffice ohne weiteres ablehnen (es besteht lediglich eine „Pflicht zur Prüfung“ („duty to consider“), siehe Artikel 2 Absatz 6 der Wfw). Wenn der neue Gesetzesentwurf angenommen wird, muss der Arbeitgeber einem Antrag des Arbeitnehmers auf das Arbeiten im Homeoffice im Prinzip stattgeben.
Dies trifft nur bei dem Arbeiten am Arbeitsplatz des Arbeitgebers oder am Wohnsitz zu, also nicht im Falle einer Urlaubsadresse oder eines anderen vorübergehenden Aufenthaltsorts. Der Arbeitgeber darf einen Antrag auf die Veränderung der Arbeitszeit nur ablehnen, wenn ein zwingendes betriebliches oder dienstliches Interesse dagegen spricht. Ein Antrag auf Änderung des Arbeitsortes darf nur noch abgelehnt werden, wenn die Interessen der Arbeitnehmer hinter den Interessen des Arbeitgebers nach den Maßstäben von „Treu und Glauben“ zurückstehen müssen. Die individuelle Abstimmung und Mitsprache der Arbeitnehmer sind dabei von zentraler Bedeutung. Nach der Gesetzesbegründung ist der Arbeitgeber gezwungen zu begründen, warum bei einem Homeoffice-Antrag die Interessen des Arbeitnehmers hinter seinen eigenen Interessen zurückstehen müssen.
Es ist zu erwarten, dass der Gesetzesentwurf verabschiedet wird, da er bereits am 5. Juli 2022 das niederländische Parlament passiert hat. Der niederländische Senat hat am 10. Oktober 2022 einen vorläufigen Bericht eingereicht. Am 28. November 2022 erhielt der Ausschuss des Senats das Antwortmemorandum der Initiatoren der Gesetzesänderung. Der Ausschuss lieferte am 17. Januar 2023 Beiträge für einen weiteren vorläufigen Bericht.
Anwendbares Recht
In der Regel wird in einem Arbeitsvertrag festgelegt, welches Recht auf den Vertrag anwendbar ist. Fragen der Vertragsauslegung oder Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden dann im Prinzip nach diesem Recht beurteilt. Wenn jedoch das Land, in dem der Arbeitnehmer arbeitet (Beschäftigungsland), nicht auch sein Wohnsitzland ist und der Arbeitnehmer gewöhnlich in seinem Wohnsitzland arbeitet, dann gilt aufgrund des EU-Rechts (Rom-I-Verordnung) in diesem Fall auch das zwingende Arbeitsrecht des Landes, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich arbeitet. Dies gilt nur, wenn dieses Recht für den Arbeitnehmer günstiger ist. In den Niederlanden kann man dabei vor allem an die Bestimmungen zum Kündigungsschutz, zum Mindestlohn oder zum Urlaubsgeld denken. In Deutschland ist zum Beispiel das Mutterschutzgesetz mit Bestimmungen zum Mutterschaftsurlaub Teil des zwingenden Arbeitsrechts. Diese zwingenden Bestimmungen des Wohnsitzlandes können nicht durch eine Rechtswahl außer Kraft gesetzt werden. Somit können die Bestimmungen zweier verschiedener Rechtssysteme anwendbar sein.
Wenn ein Arbeitnehmer strukturell jenseits der Grenze (im Homeoffice) arbeitet, hat dies Auswirkungen auf das anwendbare Recht. Wenn Sie als Arbeitgeber Grenzgänger beschäftigen, werden Sie daher häufiger mit der Anwendbarkeit ausländischer Vorschriften konfrontiert werden, die Sie mit einer Rechtswahl für das niederländische Recht im Arbeitsvertrag nicht ausschließen können. Wenn Sie dann auch noch Grenzgänger aus verschiedenen Ländern beschäftigen und diese in verschiedenen Ländern im Homeoffice arbeiten, werden Sie mit der Anwendbarkeit mehrerer verschiedener ausländischer Vorschriften konfrontiert.
Soziale Sicherheit
Wenn für Grenzgänger ausländische Vorschriften gelten können, wie sieht es dann mit der sozialen Sicherheit aus? In der Regel ist ein Arbeitnehmer in dem Land sozialversichert, in dem er arbeitet (das sogenannte Prinzip des Beschäftigungslandes). Arbeitet ein Arbeitnehmer jedoch zu einem erheblichen Teil (in der Regel 25% oder mehr) seiner Arbeitszeit jenseits der Grenze (im Homeoffice), ändert sich die Situation im Hinblick auf die Sozialversicherung.
Daher hat die Niederlande mit Deutschland und Belgien in der Corona-Zeit Vereinbarungen getroffen: Wenn ein Grenzgänger seinen Wohnsitz in einem dieser Länder hat und dort im Homeoffice arbeitet, hat dies keine Auswirkungen auf seine Sozialversicherungsposition. Diese Vereinbarungen wurden bis zum 1. Juli 2023 verlängert. Danach gilt wieder die ursprüngliche Regel: die Sozialversicherungsposition eines Arbeitnehmers ändert sich, wenn er mehr als 25% seiner Arbeitszeit im Wohnsitzland (im Homeoffice) arbeitet. Innerhalb Europas diskutieren die Mitgliedstaaten nun, ob sie eine gute Lösung für das Arbeiten im Homeoffice jenseits der Grenze finden können.
Folgen der Gesetzesänderung für Arbeitnehmer
Zurück zu der möglicherweise bevorstehenden Änderung des niederländischen Gesetzes über flexible Arbeit. Wenn die Änderung in Kraft tritt, bedeutet dies, dass Sie als Arbeitgeber einem Antrag eines Grenzgängers, mehr als 25% seiner Arbeitszeit in einem anderen EU-Land zu arbeiten, im Prinzip stattgeben müssen. Dies wird weitreichende Auswirkungen auf die Sozialversicherungsposition haben. Wenn ein Einwohner der Niederlande ausschließlich in Deutschland für einen deutschen Arbeitgeber arbeitet, ist der Arbeitnehmer in Deutschland sozialversichert. Wenn dieser Arbeitnehmer jedoch nach dem 1. Juli 2023 mehr als 25% seiner Arbeitszeit im Homeoffice in den Niederlanden arbeitet, ist er ausschließlich in den Niederlanden sozialversichert. Er muss dann eine niederländische Krankenversicherung abschließen und zahlt in die niederländische Rentenkasse ein. Die Arbeit im Homeoffice wirkt sich auch auf das Nettogehalt des Arbeitnehmers sowie auf die Leistungen bei Krankheit und Arbeitsunfähigkeit aus.
Folgen der Gesetzesänderung für Arbeitgeber
Die Gesetzesänderung wäre auch für den Arbeitgeber folgenreich, da ein Wechsel des Landes, in dem der Arbeitnehmer sozialversichert ist, zu mehr administrativen und möglicherweise finanziellen Verpflichtungen führt. So muss sich beispielsweise ein deutscher Arbeitgeber bei den niederländischen Steuerbehörden melden, wenn sein Arbeitnehmer in den Niederlanden sozialversichert ist, weil er dort im Homeoffice arbeitet. Außerdem muss er ein niederländisches Lohnbuchhaltungssystem einrichten und monatliche Erklärungen für die Zahlung der niederländischen Sozialversicherungsbeiträge abgeben. Der Arbeitgeber ist außerdem verpflichtet, den Lohn des Arbeitnehmers zwei Jahre lang weiterzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer erkrankt.
Was passiert, wenn Beiträge im falschen Land gezahlt werden?
Es ist wichtig, die Veränderung der Sozialversicherungssituation rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Die Zahlung von Beiträgen im falschen Land kann nämlich weitreichende Folgen haben. Angenommen, ein Arbeitnehmer arbeitet in den Niederlanden, wohnt aber in Deutschland und arbeitet zu mehr als 25% im Homeoffice (in Deutschland), dann muss er in Deutschland sozialversichert sein.
Aber vielleicht versäumen Arbeitgeber und Arbeitnehmer es, dies rechtzeitig zu signalisieren. In dieser Situation zahlen beide zu Unrecht weiterhin Beiträge in den Niederlanden und zu Unrecht keine Beiträge in Deutschland. Wenn der Arbeitnehmer dann beispielsweise einen Unfall hat und in ein Krankenhaus eingeliefert wird, erstattet der deutsche Versicherer die Kosten nicht. Schließlich wurde in Deutschland keine Versicherung abgeschlossen und es wurden keine Beiträge gezahlt. Der niederländische Versicherer erkennt zwar, dass die Zahlung der Beiträge in den Niederlanden irrtümlich erfolgt ist, ist aber nur bereit, die in den Niederlanden gezahlten Beiträge zu erstatten.
Folgen für die Steuerpflicht
Die Arbeit im Homeoffice hat auch Auswirkungen auf die Steuerpflicht. Bei einer Person die in den Niederlanden wohnhaft ist, aber für einen deutschen Arbeitgeber in Deutschland arbeitet, kann Deutschland das Einkommen besteuern. Wenn der Arbeitnehmer in seinem Wohnsitzland in den Niederlanden einen Tag im Homeoffice arbeitet, kann die Niederlande diesen Teil des Einkommens besteuern. Dies gilt auch für die Tage, an denen der Arbeitnehmer außerhalb der Niederlande und Deutschlands arbeitet, zum Beispiel im Falle eines Kundenbesuchs in Italien.
Steuerpflicht in mehreren Ländern
Im Gegensatz zur oben beschriebenen Sozialversicherungspflicht, die nur in einem Land entsteht, kann die Steuerpflicht in mehreren Ländern entstehen. Es gibt dann einen sogenannten „salary split“ für steuerliche Zwecke. Das Einkommen wird steuerlich zwischen mindestens zwei Ländern aufgeteilt. Dies kann steuerlich vorteilhaft sein, ist aber auch mit einer erheblichen Belastung verbunden. In der Regel müssen Sie in zwei Ländern eine Steuererklärung abgeben und benötigen daher oft die Unterstützung eines Steuerberaters in beiden Ländern.
Arbeitet ein Arbeitnehmer im Homeoffice, so ist man der Ansicht, dass dies keine Betriebsstätte ist. Daher sollte man meinen, dass der Arbeitnehmer nicht unbedingt auch in seinem Wohnsitzland eine Steuererklärung abgeben muss. Allerdings können die Steuerbehörden, je nach den Umständen des Einzelfalls, anders darüber denken und entscheiden. Vor allem, wenn der Arbeitnehmer von seinem Wohnsitz aus Verträge im Namen des ausländischen Arbeitgebers schließt. Wenn die Steuerbehörden zu dem Entschluss kommen, dass es sich um eine Betriebsstätte handelt, hat dies nicht nur Folgen für die Sozialversicherung und die Lohnsteuer, sondern auch für die Körperschafts- und Umsatzsteuer.
Der Grundsatz „nach Treu und Glauben“
Inzwischen ist Ihnen wahrscheinlich klar, dass ein Antrag auf das Arbeiten im Homeoffice komplexe arbeitsrechtliche, sozialversicherungsrechtliche und steuerliche Folgen haben kann. Ist es daher möglich, dass ein Arbeitgeber einen solchen Antrag ohne weiteres ablehnt? Müssen die Interessen des Arbeitnehmers hinter den Interessen des Arbeitgebers zurückstehen?
In der Gesetzesbegründung heißt es, dass ein Gleichgewicht zwischen der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers und der Anpassung an die individuelle Situation bestehen sollte. Der Arbeitgeber muss sich mit seinem Arbeitnehmer beraten und ist dazu verpflichtet, die Gründe für die Ablehnung eines Antrags auf das Arbeiten im Homeoffice zu begründen. Die Besprechung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist nicht mehr fakultativ.
Der Maßstab „nach Treu und Glauben“ wird zu einer Einzelfallprüfung führen, bei der alle Umstände des Einzelfalls eine Rolle spielen werden. Die Rechtsprechung wird zeigen müssen, wie dieser Grundsatz in diesem Zusammenhang auszulegen ist. Die bloße Tatsache, dass ein Arbeitnehmer jenseits der Grenze im Homeoffice arbeiten möchte, dürfte dabei kein ausreichender Grund für die Ablehnung eines Antrags auf das Arbeiten im Homeoffice sein. Wenn jedoch die Folgen für den Arbeitgeber mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden sind, ist es nicht undenkbar, dass der Arbeitgeber einen Antrag ablehnt. Es gibt also kein klares „Ja“ oder „Nein“ und auch keine Lösung. Daher werden in der Gesetzesbegründung die Grenzländer dazu aufgefordert, die Steuer- und Beitragspflichten zu lockern.
Alternativen und Rechtsprechung für Grenzgänger
Der Senat hat auch festgestellt, dass der Gesetzesentwurf „Wet werken waar je wilt“ für Grenzgänger Fragen aufruft. Der Senat fordert daher in dem vorläufigen Bericht, dass die Initiatoren der Gesetzesänderung alternative Lösungen vorschlagen. Sollten diese Lösungen nicht zustande kommen und der Gesetzesentwurf dennoch verabschiedet werden, wird die Rechtsprechung zeigen müssen, in welchen Fällen die Interessen der Arbeitnehmer denen der Arbeitgeber vorrangig sind. Klar ist, dass ein Arbeitgeber die Ablehnung eines Antrags auf das Arbeiten im Homeoffice gut begründen muss. Dabei spielt auch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eine Rolle, denn nach diesem Gesetz muss eine objektive Rechtfertigung vorliegen, wenn Grenzgänger gegenüber den in den Niederlanden wohnenden und arbeitenden Arbeitnehmern benachteiligt werden.
Klare Regeln fürs Homeoffice
Unser Motto: Denken Sie nach, bevor Sie handeln. Formulieren Sie klare Regeln fürs Homeoffice, vor allem, wenn Ihr Unternehmen international tätig ist und Sie Mitarbeiter beschäftigen, die in einem anderen EU-Land leben als in dem Land, in dem Ihr Unternehmen ansässig ist.
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